Im Spannungsfeld brutalistischer Strömungen und liturgischer Bewegung _ Bauten der Nachkriegsmoderne von Klaus Franz
Photo: Marianne Götz
ABSTRACT
In der Begegnung von Kirche und Moderne, im Zusammentreffen von profanen und sakralen Impulsen, liegt die besondere Bedeutung der Kirchenarchitektur der Nachkriegsjahre. Durch die Evolution der im theologisch-liturgischen und im technisch-materiellem Sinne neuen Gestalten, die die Tradition im Kirchenbau durchbrachen und eine umfassende Neuerung in Form, Material und Konstruktion erfuhren, die damit im Spannungsfeld der zeitgenössischen Architekturdebatte die Suche nach dem Wahren und Echten in der Gestalt und Konstruktion gemein hatte. Die Kunstentwicklung des frühen 20. Jahrhunderts befruchtete zudem die Architekturevolution, deren Diskurs zunehmend auch den Kirchenbau beeinflusste, der innerhalb des klar definierten Programms eine hohe schöpferische Dichte hervorbrachte und ein Surrogat aus theoretisch-religiösem und architektonisch-modernem entwickelte. Die dritte Generation der Architekten des Neuen Bauens rekrutierte das gesamte Instrumentarium innovativer Technologien und das Potential neuer Materialien und Produkte, um ästhetische, kulturelle und sozialpolitische Reformen umzusetzen.
Durch die hohe Zahl der neu zu bauenden Kirchen erfuhr die Diskussion um die sozio-kulturelle und die glaubensgemäße Ausbildung einer Kirche neue Bedeutung, die durch die Liturgische Bewegung beflügelt wurde, da sie die Intention der Neupositionierung des Verhältnisses des Menschen zur Kirche und seiner Verbindung zu Gott hatte. In diesem Kontext wurde gerade die Gestalt des Kirchenbaus neu verhandelt. Hier galt es eine eigene Position zu finden und die sakrale Ausdruckskraft mit neuen Formen, Materialien und Techniken zu gestalten.
Ausgehend von den Kirchenbauten und Gemeindehäusern des Stuttgarter Architekten Klaus Franz, die in den zeitgeschichtlichen Kontext und eben jenen Diskurs gestellt werden, erfolgt eine Einordnung seines Werkes, was eine baugeschichtliche Wertung ermöglicht.
Dazu wurde der Frage nach dem formgebenden Einfluss in drei Themenfeldern nachgegangen,
1. Der Einwirkung von liturgisch-theologischen Fragestellungen, die sich um die Erneuerung der zelebrierten Liturgie drehten, welche ein neues Kirchenverständnis bedingte, dem die Erneuerung der gesamten Architekturprinzipien gegenüberstand. Deren Forderungen hatte Franz schon im Entwurf für Maria Regina umgesetzt, drei Jahre bevor das II. Vatikanische Konzil diese offiziell festschrieb und damit auch den Zentralraum, der sich bis dahin in der Katholischen Kirche nicht durchgesetzt hatte,
2. um die bautechnischen Möglichkeiten und die Entwicklung des Materials Beton/Sichtbeton, wie um neue Konstruktionsmethoden und die daraus resultierende formale Ausprägung sowie
3. nach dem Einfluss der Stilausprägung des Brutalismus, da seine Bauwerke in ihrer Erscheinung durchaus dem betonsichtigen und massiven Ausdruck brutalistischer Tendenzen entsprechen. Diese sind von einer Betonästhetik und durch eine Formensprache geprägt, die eine klare, aus dem Innern heraus entwickelte Form auszeichnet, auf der Suche nach einer angemessenen Gestalt für eine bestimmte Funktion, nach einer aus der Perspektive der Brutalisten wahren Architektur, die nicht allein durch die Funktion und den Formwillen entsteht, sondern aus den inneren Strukturen der Bautechnik, den Konstruktionsprinzipien und den Baustoffen heraus entwickelt wurde und um die Theorie und die Philosophie dahinter.
Also um das gesamte Spannungsfeld von profaner-materiell-konstruktiver Zusammenhänge und dem der liturgisch-geistigen Welt.
Die von Klaus Franz erbaute und 1967 geweihte Kirche Maria Regina in Fellbach wird in der einschlägigen Literatur als kompromisslose Verwirklichung, als Jahrhundertwerk, als einzigartig und außergewöhnlich und als eines der kühnsten kirchlichen Bauwerke in Europa bezeichnet. Diese Bedeutung gab Anlass, das Gesamtwerk von Franz wissenschaftlich aufzuarbeiten, um die Werte und Erhaltung der Bauwerke von Klaus Franz beispielgebend für weitere Kirchenbauten dieser Zeit wieder in die Diskussion zu bringen und in den Kontext der damaligen Entwicklungen zu stellen. Die Kirche ‘Maria Regina’ verkörpert in einzigartiger Prägnanz das Ineinanderfließen der Zeitströmungen und die daraus entwickelte Kohärenz an Gestalt, Ausdruck und Konstruktion, aus der sich ihre Kraft und ihre Bedeutung generiert.
Die Kontextualisierung und Einordnung der Kirchenbauten der Boom-Jahre nach dem 2.WK, in denen allein in Baden-Württemberg 1600 Kirchen gebaut wurden (Bundesweit waren es um die 9500), in ihrer beachtlichen Vielfältigkeit, mit heterotopen Räumen und verstörenden Formen, ist Grundlage für deren Verständnis. Über die Objekte erschließen sich die geschichtlichen Entwicklungen, der sie die Möglichkeit der Zeit ihrer Entstehung
und Wirkung verdanken. Dies erfordert kontinuierliche wie dynamische Deutung, die die historischen Objekte mit immer neuen Interpretationen in die jeweilige Gegenwart hebt.
In 5 Kapitel gegliedert spannt die Dissertation den Bogen von den biographischen Einflüssen des Architekten, über seine beiden Kirchenbauten mit den zugehörigen Gemeindezentren, die vergleichend gegenüber gestellt werden, hin zum dritten Kapitel der Kontextualisierung, in dem die theoretischen und zeitgeschichtlichen Strömungen wie der Katholischen Liturgischen Bewegung, die Entwicklung des gerichteten Zentralraumes und die technischen und künstlerischen Voraussetzungen der Entwicklung und Verwendung von (Sicht-)Beton im Bauen und die brutalistischen Strömungen und architektonischen Einflüsse aufgezeigt werden. Im 4. Kapitel werden die Bauten von Franz ins Spannungsfeld von Katholischer Kirche, architektonisch-formaler und technischer Entwicklung sowie brutalistischer Strömungen gesetzt. Im 5. Kapitel erfolgt die Schlussfolgerung und Zusammenfassung daraus sowie die Ableitung für die Erhaltung relevanter Kriterien.
Dr. phil. Anette S. Busse